Bandvagn extrem – Sonne und Schneesturm im Gebirge

Seit einiger Zeit habe ich nun dem reinen Tourismus den Rücken gekehrt und das Camp bei Kurravaara gegen eine Hütte in Nikkaluokta eingetauscht – am Ende der fast 70 km langen Stichstrasse von Kiruna Richtung Nordwesten.

Von hier aus werden im Winter sowohl die 20 km entfernte Kebnekaise-Bergstation wie auch diverse abgelegene Hütten mit Proviant, Holz und Gas versorgt. Ein Großteil dieser Versorgung erfolgt mit Hägglunds bv206 Geländefahrzeugen („bandvagn“). Diese sumpf- und schneetauglichen Raupenfahrzeuge wurden speziell für arktisches Terrain und Klima entworfen und sind beim Militär wie auch zivil sehr beliebt.

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Auf Versorgungsfahrt nach Sälka

So ging es auch vorgestern wieder mit zwei Hägglunds-Gespannen mit vielen übergroßen Propangasflaschen und zwei schweren Lastschlitten mit insgesamt mit ca. 15 Kubikmetern Holz auf Versorgungsfahrt nach Sälka, einer Hütte am bekannten Kungsleden.

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Laut Plan sollten Pär-Ola (ein Same aus der Gegend) und ich die beiden Hägglunds zunächst zur Kebnekaise-Bergstation fahren, wo dann Erik (ebenfalls Same, der Chef) meinen Hägglund übernimmt und wir gemeinsam weiter durch die Berge bis nach Sälka und wieder zurück fahren. Erik hatte am Morgen noch schnell einen Abstecher mit dem Snowscooter nach Tarfala unternommen, einem Seitental am Kebnekaise. Der Scooter sollte dann tagsüber am Kebnekaise bleiben, und wir würden ihn abends auf dem Rückweg wieder mitnehmen.

Und so starten wir am Morgen in Nikkaluokta. Mit von der Partie ist neben Pär-Ola noch Ernst, ein dänischer Hobbyfilmer, der Sälka besuchen will,  sowie ein sibirischer Husky und ein Samojede.

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Mir wird noch schnell erklärt, dass mein Lastschlitten schlingert. Ich solle deshalb großen Abstand zu Hundegespannen und Passanten auf Schneeschuhen und Ski halten, um ihnen nicht die Beine abzuschneiden. Und wenn sie doch zu nah kommen, soll ich einfach anhalten und wild gestikulieren bis sie verschwinden.

In der Tat: Bereits auf den ersten Metern auf dem Eis des Ladtjojaure sehe ich im Rückspiegel, wie mein mit halben Baumstämmen beladener Lastschlitten mit eleganten und ausladenden Schwingungen unsere Spur im Schnee an einigen Stellen deutlich verbreitert. Was soll das erst in wirklich schwerem Gelände geben? Aber das beginnt ja erst hinter dem Kebnekaise, und da sitzt dann ja der erfahrene Erik am Steuer. So fahren wir also noch guter Dinge bei strahlend blauem Himmel in Richtung Bergstation. Pär-Ola ist sich sicher, dass ich das GPS an Bord habe, ich bin mir sicher, dass Erik das GPS im Scooter dabei hat, und Erik ist sich sicher, dass das GPS in meinem Hägglunds ist. Nun ja!

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Am Kebnekaise ist von Erik keine Spur, vermutlich musste er nach Tarfala langsamer und vorsichtiger fahren, da die Region dort aktuell schwer lawinengefährdet ist. Also fahren wir noch ein paar Kilometer weiter – Eriks Schneemobil können wir ja auch irgendwo anders abstellen. Stoisch fräsen sich die beiden Hägglunds selbst durch den tiefsten Schnee, wenn auch nicht immer ganz leise: Gegen den Motorenlärm im Inneren tragen wir Kopfhörer. 4 km hinter der Bergstation und kurz vor einem Pass erreicht uns dann auch Erik, der inzwischen genau weiß, wo das GPS ist, nämlich bei ihm zu Hause auf dem Tisch.

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Der ursprüngliche Plan muss nun geändert werden. In dem vor uns liegenden Labyrinth aus Schnee, Eis, Felsen und Steilhängen benötigt man ohne GPS mindestens einen ortskundigen Scout auf dem Snowscooter, der vorweg fährt. Nun, einen Snowscooter haben wir ja, und Erik kennt als Same hier jeden Felsen beim Vornamen. Das bedeutet allerdings auch, dass ich den wunderbaren schlingernden Schlitten nun doch behalten darf/muss. Nun denn, das wird schon irgendwie gehen. Sorgen macht mir nur eine steiler Steigung, an dem wir schon zwei Tage zuvor mit weniger Last Probleme hatten. Aber Erik meint nur „Wir werden ja sehen, wie es geht.“

Als wir hinter dem Pass nach Norden schwenken, trübt sich das Wetter nun entgegen aller Vorhersagen deutlich ein, und es wird deutlich windiger. In der Ferne sehe ich ein Tier einen Hang hinaufspringen, wo das wohl hinwill? Leider ist es zu weit weg, um zu entscheiden, ob es ein Fuchs oder ein Vielfraß war.

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Die besagte Steigung bereitet uns in der Tat Probleme. Wie vermutet schafft es der erste Hägglunds mit dem schweren Lastschlitten nicht. Also wird in sicherem Abstand mein Lastschlitten abgekoppelt. Ich versuche, in der Steigung am ersten Fahrzeug vorbeizukommen, dummerweise an einer Engstelle: Das erste Gespann rechts von mir, und Felsen links – ganz schön eng! Aber irgendwie klappt es dann doch. Mit einem Stahlseil und mit meinem Fahrzeug schleppe ich das erste Gespann nach oben. Dann zurück, Lastschlitten wieder ankoppeln, und wieder in die Steigung. Diesmal muss das erste Fahrzeug mich mit dem Stahlseil schleppen, denn ich habe ja meinen schweren Lastschlitten dabei. Nicht umsonst hieß es also „Wir werden ja sehen, WIE es geht.“ .. .nicht „OB es geht.“ Unser Däne Ernst hat richtig Spaß dabei; eigentlich wollte er nur bei schönem Wetter Sälka sehen. Das schöne Wetter haben wir zwar nicht, aber nun bekommt er sogar etwas Abenteuer. Naja, davon sollte er später noch mehr bekommen!

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Zwar wird die Sicht immer schlechter bzw. oftmals helfen nur die verschiedenen Weißtöne, Himmel und Schnee zu unterscheiden, aber dank unseres Scouts gestaltet sich die weitere Fahrt nach Sälka sehr unproblematisch. Dort angekommen werden wir von den beiden Hüttenwartinnen freundlich empfangen und mit Kaffee und Gebäck versorgt. Das Entladen der Gespanne ist natürlich schwieriger als das Beladen in Nikkaluokta, denn hier in den Bergen gibt es kein schweres Gerät zum Heben der Lasten. Also geschieht alles von Hand und mit ein paar Tricks. Die Gasflaschen sind einfach aberwitzig schwer. Aber auch das geht irgendwie.

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Schneesturm

Inzwischen ist es Nachmittag, und das Wetter konnte sich nicht so richtig entscheiden. Mal sieht es nach Aufklaren aus, mal gar nicht. Nachdem wir aber ein paar Minuten auf dem Rückweg sind, entscheidet sich das Wetter dann aber ganz klar: Schneesturm! Anfangs haben wir noch Sichtweiten von 20 Metern, dann wird es immer weniger. Ich fahre das letzte Fahrzeug in unserem kleinen Konvoi, vor mir Pär-Ola mit zwei Hunden und dem Dänen, davor Erik auf dem Schneescooter, der uns wieder den Weg durch dieses Labyrinth aus Felsen und Abhängen sucht. Dann frieren meine Scheiben zu, sowohl von außen als auch von innen. Sah ich kurz vorher noch wenig, sehe ich nun gar nichts mehr. Die Wischer frieren fest, und ich muss kurz anhalten, um alles zu enteisen. Als ich wieder losfahre, glaube ich noch vor mir irgendwo schemenhaft den ersten Hägglunds zu sehen, aber bald merke ich, dass dies wohl eine Sinnestäuschung war. Ich werde immer langsamer, bis ich fast stehe. Meine Sicht beträgt inzwischen nur noch wenige Meter. Nach einigen Minuten taucht dann Eriks Scooter aus dem Nichts auf. Einen großen Hägglunds kann er wohl selbst bei schlechter Sicht noch besser finden als ich einen kleinen Scooter. Es stellt sich heraus, dass ich es tatsächlich bei der schlechten Sicht geschafft habe, unfreiwillig um 180° zu wenden. Ich stehe nun abfahrbereit Richtung Sälka, wo wir ja vor einer Stunde gestartet sind. Wie peinlich!

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Von nun an wird der Sturm immer schlimmer und die Sicht immer schlechter. „Total whiteout!“ Erik kann nur noch im Schritttempo voranfahren, und wir halten kleine Abstände von wenigen Metern. Immer wieder gibt es Momente, wo man absolut nichts mehr sieht. In so einem Moment kann es natürlich schnell zu einer Kollision kommen. Immer wieder müssen wir komplett anhalten und Erik kommt zu mir in das Fahrzeug, um sich aufzuwärmen. Einmal sind seine Augenlieder komplett zugefroren, und er kann schon deshalb nichts mehr sehen.

Inzwischen wissen wir, dass es hoffnungslos ist, in diesem Wetter über den Pass zur Bergstation zu kommen. Also wieder Planänderung: Wir steuern Singi an, eine weitere Hütte diesseits des Passes, von der wir aktuell nur 7 km entfernt sind. Wir fahren noch ein paar Kilometer, aber die Momente, in denen wir absolut nichts mehr sehen, werden immer länger; der Sturm rüttelt an unseren Fahrzeugen. Inzwischen ist es auch egal, ob die Scheiben von innen wie von außen immer wieder einen dicken milchigen Eispanzer entwickeln, man sieht sowieso fast nichts mehr.

Unser Däne Ernst fragt sich inzwischen wohl, ob es aktuell nicht ein wenig zuviel Abenteuer wird. Zumal er eigentlich morgen abreisen wollte. Aber von diesem Plan kann er sich jetzt verabschieden, denn nach Nikkaluokta schaffen wir es heute in keinem Fall mehr. Dann kommt Erik wieder einmal völlig vereist in meinen Bandvagn und meint, wir müssen komplett abbrechen. Ein Weiterkommen in der weißen Hölle da draußen ist nicht möglich. Zwar sei Singi wohl nur noch 2-3 km entfernt, aber die schaffen wir so nicht mehr. Es gibt einfach keinerlei Sicht! Ich wundere mich nur, wie er überhaupt so genau wissen kann, wo wir uns aktuell befinden. Aber so ist das wohl, wenn man sein ganzes Leben hier verbracht hat.

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Also machen wir uns auf eine ungemütliche Nacht gefasst: In Thermooveralls und Daunenjacken in einem harten und kantigen Militärfahrzeug, was nicht wirklich für Übernachtungsgäste gebaut ist. Aber alles ist besser, als bei diesem Wetter jetzt draußen im Schnee eine Schutzhöhle graben zu müssen. Gerade als wir uns auf die Nacht vorbereiten wollen, werden da draußen für ein paar Momente immer mal wieder ein paar Konturen sichtbar. Also begibt sich Erik wieder schnell auf den Scooter und wir versuchen es ein letztes Mal! Natürlich geht es extrem langsam voran, und für die 2 km brauchen wir eine Ewigkeit – aber irgendwann tauchen endlich die Konturen einer Hütte vor uns auf, Singi!

Singi

Janne, der Stugvärd in Singi, staunt nicht schlecht, als wir vor seiner Hütte aus dem Nichts auftauchen. Aber er ist begeistert, uns zu Besuch zu haben. Janne ist für seine Backkünste bekannt, und so gibt es auch sofort leckere Zimtschnecken – und auch sonst tischt er uns alles auf, was er zu bieten hat: Pasta, Hotdogs und vieles mehr. Wir sind froh, nun in der warmen Hütte zu sein, und es wird ein langer und lustiger Abend: Janne, zwei Samen, ein Däne, ein Deutscher, und drei Hunde. Später stoßen noch zwei deutsche Gäste hinzu, die schon mittags in bestem Wetter auf Ski und Schneeschuhen in Singi angekommen waren. Es werden viele Geschichten erzählt und Spielchen mit Streichhölzern gespielt. Und das Beste: Dank des Schneesturms und der geänderten Route kann ich Janne endlich die Postkarte zustellen, die ich seit Tagen im Rucksack für ihn dabei habe.

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Die Nacht wird dank des Sturms ziemlich laut, aber besser als, im Fahrzeug zu übernachten. Später hört es auf zu schneien, und der Wind bläst einen großen Teil des neuen Schnees einfach wieder weg. So erwartet uns dann auch ein kalter, aber schöner Morgen – natürlich mit einem guten Frühstück von Janne serviert!

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Uns geht es gut, aber leider hat Eriks Scooter die Nacht nicht überlebt. Ein paar Kilometer schafft er es am Morgen dann noch, aber dann geht nichts mehr. Offenbar ist eine Leitung kaputt gefroren und im Schnee sieht man schön die blauen Flecken des auslaufenden Glykols. Ab jetzt ohne Scout weiter, aber das Wetter ist ja auch deutlich besser. Wir binden das defekte Schneemobil mit zwei Spannriemen an meinen Lastschlitten, und fahren mit diesem lustigen und langen Gespann dann die verbleibenden 30km. Endlich kommen wir also ca. 17 Stunden verspätet in Nikkaluokta an. Es reicht so gerade, um Mittags etwas zu essen, und dann geht es schon wieder auf Versorgungsfahrt zur Bergstation. Die ersehnte Dusche muss also noch etwas warten!

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